Im ganzen Land sind solche Gedenkstätten anzutreffen. Auch im Algonquin-Park, einem Naturpark in Ontario, hatten Menschen Spielzeug, Kinderkleider und Briefe unter einen Totempfahl gelegt, um ihr Beileid zu bekunden. Doch die Kirche schwieg weiter. Aufforderungen der kanadischen Regierung, sich öffentlich zu entschuldigen, wurden vom Vatikan ignoriert. Viele Indigene, die den katholischen Glauben übernommen hatten, fühlten sich hintergangen, sie gingen auf die Strasse. Als nichts passierte, griffen einige zu drastischeren Massnahmen: Im Juli 2021 wurden 68 kanadische Kirchen beschmiert, zerstört oder in Flammen gesetzt.
Der Druck wurde zu gross. Am 1. April dieses Jahres entschuldigte sich der Papst offiziell für die Rolle der katholischen Kirche als Betreiberin der Schulen. «Ich schäme mich und bedaure die Rolle, die einige Katholiken, vor allem diejenigen mit pädagogischer Verantwortung, bei den Dingen gespielt haben, die Sie verletzt haben. Ich bedauere den Missbrauch, den Sie erlitten haben, und den Mangel an Respekt für Ihre Identität, Ihre Kultur und sogar Ihre geistigen Werte », sagte Papst Franziskus vor einer Versammlung von Delegierten der indigenen Gemeinschaften Kanadas. Die lang ersehnte Entschuldigung hat für viele Indigene eine hohe Bedeutung. Es gibt jedoch auch Stimmen, die sagen, sie komme zu spät und Worte allein würden als Wiedergutmachung nicht reichen.
Jeremy Bergen, Assistenzprofessor für Religionswissenschaften an der Universität von Waterloo, kritisiert in einem Artikel auf der Online Plattform «The Conversation» vor allem, dass der Papst zwar die Taten gewisser Mitglieder der Kirche bedauert, jedoch nicht darauf eingeht, dass die Kirche als Institution mit ihrer Entscheidung, die Schulen zu betreiben, eine assimilatorische Politik verfolgte. Der Wunsch der Überlebenden, dass Papst Franziskus für eine Entschuldigung nach Kanada reiste, wurde ignoriert. «Um der Versöhnung willen hoffe ich, dass dies nicht die endgültige Entschuldigung des Papstes war», schreibt Bergen.
Ein Grossteil des kulturellen Erbes der Indigenen ist durch Residential Schools nachhaltig zerstört worden. Viele autochthone Sprachen und Bräuche sind ausgestorben, weil sich niemand mehr an sie erinnert. Daran kann auch keine Entschuldigung etwas ändern. Und erst recht nicht drei Tafeln auf einem Hügel, die das Problem so behandeln, als würde es die Gegenwart nicht betreffen. Guy Freedman sagt: «Ein generationenübergreifendes Trauma lässt sich nicht von heute auf morgen beheben.» Für eine Heilung braucht es mehr.